"Um mit einem Wortspiel zu beginnen: Die Renaissance des Mittelalters scheint ungebrochen: Mittelaltermärkte, Ritterfeste, Mittelalterrestaurants schießen wie Pilze aus dem historisch vorbelasteten deutschen Boden. Auf den Märkten herrscht Entkitschung der feilgebotenen Ware: Man besinnt sich wieder gediegener Handwerkskunst. Die Feste sind farbenfrohes Kostümgepränge mit Feuer und Kampfspielen, Gauklershows und Minnesang. Und die Restaurants? War die Kulinarik im Mittelalter wirklich so hervorragend, daß es sich lohnt, diese wieder aufleben zu lassen? Dies galt es für uns herauszufinden, zumal das Anno 1475 in Flyer und auf der Homepage „Prunk mittelalterlicher Festbanketts“ und „Fürstliche Gelage“ verspricht. Der geschichtlich weniger Bewandte mag sich über die Festlegung des Namens auf das Jahr 1475 wundern, zumal dies in die Zeit fällt, in der das Mittelalter mit Erfindung des Buchdrucks, der Eroberung von Konstantinopel, der Entdeckung Amerikas etc. sich bereits seinem Ende zuneigte, doch wenn wir die Historie Landshuts in unserem Gedächtnis Revue passieren lassen, fällt uns natürlich sofort ein, daß 1475 Herzog Georg der Reiche die polnische Königstochter Hedwig Jagiellonica geehelicht hat, ein wahrhaft historisches Ereignis, das noch heute alle vier Jahre als „Landshuter Hochzeit“ inszeniert und zelebriert wird, und dort verbindet sich alles, was wir an Positivem mit dem Mittelalter assoziieren, Gepränge und Gefresse nämlich, während wir die Schattenseiten der düsteren Epoche, Kriege, Hungersnöte, Pest etc. großzügig unter den Tisch fallen lassen. Mit dem Stichwort „Tisch“ haben wir nun einen eleganten Schwenk von unserem historischen Exkurs zur Einrichtung des Gasthauses vollführt… Der Raum ist freundlich und natürlich mit mittelalterlichem Accessoire ausstaffiert. Tische und Bänke aus Massivholz gefertigt, die Sitzflächen mit Fellen bedeckt, die das Ausharren auf solch archaischem Mobiliar einigermaßen erträglich machen. Ansonsten Kerzenschein, wobei die weißen Stumpen stilecht wirken, während die roten so gar nicht zum Mittelalterambiente passen, ebensowenig die Herbstgestecke (im Frühling! , die zudem aus Kunststoff bestehen. Immerhin war der „Made in …“ Aufkleber dank des düsteren Lichts nicht zu entdecken, aber wir tippen eher auf fernöstliche Massenware, denn auf altgermanische Handwerkskunst… Hier hätten wir etwa einem Primeltöpfchen für 99 Cent den Vorzug gegeben. Dafür werden Speisen und Getränke auf in irdenen Tellern und Humpen serviert, flankiert jedoch von modernem Edelstahlbesteck und Papierservietten. Was die Speisen betrifft, changiert das Angebot zwischen relativ normalen Speisen, die man auch in Gaststätten ohne mittelalterlichen Anspruch findet, und durchaus ausgefallenen Kompositionen. Die Küche bemüht sich also wirklich, vergessene Rezepte wiederaufleben zu lassen, was sich nicht zuletzt in den Gewürzkombinationen erkennen läßt: Honig, Koriander, Ingwer, Zimt, Nelke… alles Gewürze, die hierzulande dank intensiver Handelsbeziehungen auch im Spätmittelalter bereits üblich waren. Noch nicht bekannt dagegen waren damals Kartoffeln, Mais, Paprika, Tomaten, und so sucht man diese Gemüse zu Recht vergebens auf der Karte. Sehr zu loben das hausgebackene Dinkelbrot. Es handelt sich zwar um kein reines Urdinkelbrot, sondern um eines mit Weizenbeimischung bzw. Weizeneinkreuzung, auch ist es für manchen Einsatz etwas zu gewürzlastig, doch dürfte es immer weniger Restaurants geben, die ihr Brot nach eigener Rezeptur selbst backen bzw. exklusiv backen lassen. Hier also unser absolutes Chapeau! Das Brot kommt vielfältig zum Einsatz, als Croitons, in Brotkörben und als Knoblauchbrot – in allen Fällen wirklich sehr schmackhaft, und die Knoblauchbrote wurden zudem großzügig mit Petersilie bestreut. Ferner aßen wir an Vorspeisen: Hausgemachte Gemüse Consommé mit reichlichen Einlagen und separat servierten Croitons, hervorragend Flammkuchen mit Lauch, Schinken, Zwiebeln, Käse etc. Sehr gut. Allerdings waren wir skeptisch bezüglich des ungewöhnlich fluffigen und dennoch krossen Teiges und erfuhren auf Anfrage, daß für die Flammkuchen – letztlich das wichtigste Aushängeschild des Gasthauses – industriell gefertigte Tiefkühl Teiglinge verwendet werden. Das finden wir ebenso schade wie unverständlich: Ein Flammkuchenteig kostet in der Herstellung wenige Cent und dauert keine 20 Minuten, hält kühlgestellt mindestens eine Woche und ist in wenigen Sekunden hauchdünn ausgerollt. Bei diesen Industrie Flammkuchen sind mit Sicherheit Zusatzstoffe enthalten, welche es im Mittelalter noch nicht gab. Aber immerhin werden Teiglinge von sehr hoher geschmacklicher und sensorischer Qualität eingesetzt. Krumme Krapfen mit Speck und kalter Sauerkirschsauce. Sehr gut, die Krapfen mit hohem Käseanteil, die Kirschsauce fein und pikant abgeschmeckt. Hauptspeisen: Gegrilltes Zanderfilet, Steinpilze, Mandelbrokkoli, gebratener Dinkel (15,20 € . Fisch schön kross auf der Haut gegrillt, allerdings bereits etwas trocken – dünne Zander Filets saftig zu grillen, ist allerdings auch eine Herausforderung. Der Brokkoli war frisch und kein TK. Die Dinkelkörner waren eher gekocht, als gebraten, aber gut und eine sehr originelle Beilage. Die Pilze stammten leider aus einer Dose und waren mit Flüssigkeit vollgesogen. Bullenlende gegrillt, Kräuterbutter, Dinkelgemüse, Röstbrot, frisch geriebener Meerrettich (17,90 € . Hervorragend, Fleisch auf den Punkt gegart, das Gemüse sehr gut abgeschmeckt… Spanferkelrollbraten mit Dunkelbiersauce, gebratene Serviettenknödelscheiben, Speckweißkraut (bzw. auf Sonderwunsch geschmorte Kohlrabitaler; 11,20 € . Leider wurde der Braten aus Wammerl gerollt, somit bestand mehr als die Hälfte des Bratens aus Fett sowie lappriger statt knuspriger Haut. Fett und Haut haben wir nicht gegessen, sondern zurückgehen lassen. Die Knödelscheiben waren gut, allerdings arg trocken, Speckweißkraut und Kohlrabi sehr gut. Gerne hätten wir einige Euro mehr ausgegeben, für einen mageren Rollbraten, wie wir es von Spanferkel ansich kennen. Nachspeisen Pavesen mit Apfel Pflaumenfüllung (5,50 € . Sehr gut. Hier kam statt mittelalterlichen Dinkelbrotes ein normales Toastbrot zum Einsatz, was von Vorteil war, weil das Dinkelbrot für ein Dessert zu würzig gewesen wäre. Flammkuchen mit Apfelscheiben, Honig und Mandeln (7,90 € . Hier wurde uns überraschenderweise, da in der Karte nicht offeriert, angeboten, den Flammkuchen am Tisch zu flambieren, was von uns (allesamt tendenziell pyromanisch angehaucht freudig angenommen wurde. Unter Verwendung von reichlich Calvados entfachte unsere Kellnerin denn ein ästhetisch reizvolles Tischfeuerwerk, und dennoch blieb vom Calvados so viel auf dem knusprigen Flammkuchen, daß wir froh waren, daß dieser Gast heute keinen Fahrdienst hatte. Limonenjoghurt mit Honig und Krokant (4,90 € . Das war eine schlichte, gute, leichte Nachspeise, allerdings hätten wir eine kleinere Portion, dafür bessere Joghurt Qualität bevorzugt. Bedienung Diese verdient ein eigenes „Kapitel“, denn sie war außerordentlich liebenswürdig und stets aufmerksam. Hätten wir eine Restauration, würden wir viel daran setzen, sie abzuwerben. Als wir den zu hohen Fettanteil des Bratens ansprachen, bot sie sofort als Kompensation Gratis Capucchini an. Wir löcherten sie mit Fragen, sie antwortete jedoch immer geduldig, kompetent und vor allem ehrlich. Sie schaut den Köchen häufig und gerne über die Schulter, kann somit sogar Detailfragen beantworten, etwa was die exakte Rezeptur der krummen Krapfen betrifft. Bevor wir das Lokal verließen, lud sie uns noch spontan am Tresen zu einem Verdauungs Schnaps ein. Kurzum: Ihr scheint der Job Spaß zu machen, und das merkt der Gast und sieht deshalb über manchen Mangel hinweg. Fazit Das Stichwort „Mittelalter“ ist hier nicht nur ein kundenlockendes Schlagwort, sondern wird in den Gerichten gelebt. Dies sollte sich allerdings auch darin niederschlagen, daß auf Convenience komplett verzichtet wird, zumal die hier verwendeten Fertigprodukte mit Minimalaufwand selbst hergestellt bzw. auf TK zurückgegriffen werden könnte. Wenige Detailänderungen in der Einrichtung würden Wunder wirken. Von Prunk und fürstlichen Gelagen war nichts zu spüren, es war letztlich ein zwar nettes, aber ziemlich normales Essengehen. Das Preis Leistungsverhältnis ist gut, trotzdem würden wir für noch bessere Qualität gerne den einen oder anderen Gulden extra anlegen."