"Mit dem Nordseebad Wremen verbindet mich der erste gemeinsame Urlaub mit meiner Frau vor rund sieben Jahren. Nach dem Motto „Back to the Roots“ planten wir in bester Erinnerung an diesen hübschen Flecken an der Wurster Nordseeküste unsere erste längere Fahrt mit dem Töchterchen. Als wir dann endlich bei den Schwiegereltern in Bremen ankamen, wollten wir sie von der „beklemmend“ langen Zeit im Maxi Cosi erlösen und disponierten kurzerhand um. Die letzte Etappe in Richtung Küste trat ich dann alleine an. Meine Frau blieb zusammen mit der Kleinen in Bremen bei ihren Eltern, die nicht nur ihr Enkelkind sehr vermisst hatten. Natürlich hätten wir unsere Ferienwohnung in Imsum, einer rund 1000 Einwohner zählenden Ortschaft nördlich von Bremerhaven, auch absagen können. Da ich aber noch eine Menge Arbeiten zu korrigieren hatte, würde ich bei meinem dreitägigen Solo Trip keinen rechten Grund zur Langeweile haben. Außerdem hielt nach den heftigen Stürmen wieder sonniges Wetter Einzug, was sicher den ein oder anderen Deichspaziergang ermöglichen würde. Über die Verpflegung am Abend machte ich mir nach vollzogener Einquartierung Gedanken. Ein einziges Restaurant listete der Guide Rouge in meiner Nähe. Das mit einem Bib Gourmand ausgezeichnete Gasthaus „Zur Börse“ von Björn und Inge Wolters im rund 6 km entfernten Nachbarort Wremen. Und zufällig hatten die an jenem Dienstagabend auch noch geöffnet. Ein kurzer Anruf genügte und nach einem netten Plausch mit der Chefin war mein Abendessen gesichert. Abends vorm Gasthaus Wolters Die Informationen auf deren Homepage steigerten meine Vorfreude auf die feine Fischküche, mit der sich Küchenchef Björn Wolters einen guten Ruf „erkocht“ hat. Viel Stammklientel konnte ich an den Nachbartischen ausmachen. Das wunderte mich nicht, denn die Art und Weise wie man hier seine Gäste umsorgt, ist von einer fürsorglichen Herzlichkeit geprägt, die man heute nicht mehr so häufig antrifft. Frau Wolters empfing mich als einzigen Einzelgast des Abends und checkte verordnungskonform meine aktuelle Impflage. Dann bekam ich einen Platz vor der Theke zugewiesen. Ich hatte den letzten freien Tisch ergattert und freute mich einfach nur auf was Leckeres vom Flossentier. In den beiden gemütlichen Gasträumen, die durch eine offene Glastür miteinander verbunden waren, war mächtig was los. Frau Wolters und zwei jüngere Mädels schmissen gutgelaunt den Service und was sie da so an die einzelnen Tische brachten, sah sehr verlockend aus. Mein zentraler Thekenplatz war also keineswegs ein zugiger „Katzentisch“ für misanthropische Alleinverzehrer, sondern eine Beobachtungswarte von Rang, die außerdem das Kommunizieren förderte. Tisch mit bester Aussicht Ich genoss die interessanten Ein und Ausblicke auf das gastronomische Geschehen um mich herum. Da waren zum Beispiel die beiden jungen Mädels, die Frau Wolters im Service unterstützten. Sie werkelten mal alleine, mal gemeinsam hinter dem Tresen. Eine von ihnen schien noch nicht so lange im Service zu arbeiten bzw. auszuhelfen. Sie wurde jedoch mit viel Verständnis von Frau Wolters und der anderen, erfahreneren Bedienung eingelernt. Am Nachbartisch hatte gerade eine Familie den Geburtstag ihrer im Grundschulalter befindlichen Tochter gefeiert. Dies fiel mir allerdings erst auf als sie gegangen waren. Luftschlangen und andere bunte Deko lagen noch als Reste des Festes auf dem Tisch. Wer sich so viel Mühe mit den kleinen Gästen gibt, wird auch die großen nicht enttäuschen. Beruhigende Gedanken, die mir schon vor dem ersten Bissen versicherten, hier goldrichtig zu sein. Zumal auch das gemütliche Ambiente zum Verweilen einlud. Jede Menge dunkles Holz umgab mich. Die Bistrotische, von in die Decke eingelassenen Spots ins rechte Licht gerückt, waren allesamt mit frischen Schnittblumen ausgestattet. Außer einem antik anmutenden Kerzenständer sowie den üblichen Salz und Pfeffermühlen, wirkten sie recht puristisch eingedeckt. Ein übergeworfener Tischläufer aus Leinen hellte die hölzerne Tischplatte zusätzlich auf. Alles wirkte sehr sauber und es ließ sich auf den einfachen Holzstühlen mit bequem gepolsterter Unterlage gut aushalten. Der rechte Gastraum Da saß ich nun inmitten des ehemals als Viehbörse – daher der Name des Lokals – dienenden Anwesens im Ortskern von Wremen und fühlte mich verdammt gut aufgehoben. Ich war zwar alleine bei den Wolters aufgeschlagen – das kennen und können andere GG Genossen sicher besser als ich –, aber ich fühlte mich keineswegs allein. So oft es eben passte, tauschte ich mich mit der Chefin des Hauses aus, gab Feedback zu den Speisen und versuchte, ihr ein paar Ausgehtipps für die kommenden beiden Abende zu entlocken. Denn zu meinem großen Entsetzen musste ich feststellen, dass die „Börse“ an den beiden Folgetagen geschlossen hatte. Aus dem kulinarischen Fortsetzungsklassiker „An drei Abenden durch die Karte!“ wurde leider nichts. Also musste es beim Erstversuch klappen. Apropos klappen, die Speisenkarte hielt ich mittlerweile in den Händen und klappte sie bedächtig auf. Die erste Seite erzählte von der 300 Jahre ! alten Vergangenheit der Gastwirtschaft, die reich an Geschichte und Geschichten zu sein schien. Was hier einem französischen Marodeur Anfang des 19.Jahrhunderts aus reiner Notwehr passiert sein soll, beunruhigte mich nicht im Geringsten, hatte ich doch viel Friedlicheres als dieser im Sinn. Eine Seite weiter folgte die komplette Aufschlüsselung der Lieferanten. Das Gemüse bezog man teilweise von Hobbygärtnern aus der Umgebung, Frischfisch und Krustentiere ließ man sich von Krabben Böger aus Wremen liefern. Das Fleisch von Wasserbüffel, Rind Galloway und Schwarzbuntes Niederungsrind und Färse stammte von Tieren, die auf den Salzwiesen der Region weideten. Reh, Hase und Wildschwein sagten beim Anblick der hiesigen Jäger ein letztes Mal „Gute Nacht!“. Pilze, Beeren, Bärlauch, Hagebutten und Holunderblüten sammelte man weitgehend selbst. Der Verzicht auf Geschmacksverstärker passte in das von Regionalität und Komplettverwertung geprägte Küchencredo. Das las sich alles sehr vertrauenserweckend und machte mal Appetit. Dieser wurde durch das Studium der Speisenlektüre noch verstärkt. Mein Hunger war groß. Drei Gänge durften es an diesem Abend schon sein. Die Entscheidung für das dreigängige Fischmenü 34,50 Euro , das aus einer Fischsuppe, auf der Haut gebratenem Wolfsbarschfilet und gratinierten Beeren zum Dessert bestand, fiel mir dementsprechend leicht. Auch Rumpsteak, Filet vom Weiderind und Rehragout in Waldpilzsauce konnten da mein Fischverständnis nicht erschüttern. Bei den Getränken hielt ich mich an Wasser – kleine Flasche Tönissteiner 0,25l für 2,60 Euro – und Wein. Erfreulicherweise wurde nahezu jeder Flaschenwein auch offen ausgeschenkt. Auf mein Bedauern, dass ausgerechnet der Sauvignon Blanc „Collage“ vom Weingut Hammel Cie aus Kirchheim nördlich von Bad Dürkheim nicht glasweise zu haben war, reagierte man mit nordischer Nonchalance. „Gerne machen wir Ihnen eine Flasche für ein Gläschen auf. Um den Rest kümmern wir uns dann morgen an unserem Ruhetag selbst.“ Frau Wolters erfüllte mir umgehend meinen fast schon asketisch anmutenden Weißweinwunsch. Die Chefin wusste halt, wie man Gäste verwöhnt. Das Viertel Sauvignon Blanc 5,40 Euro aus der heimischen Pfalz war ein besonders elegantes Tröpfchen, reifte doch der mit schönem Säurespiel und reichlich zartem Schmelz ausgestattete Weiße jeweils zur Hälfte im Holzfass und im Edelstahltank. Bis zur Fischsuppe vertrieb ich das erste Magenknurren mit zwei vorweg gereichten Brotaufstrichen und einem kleinen Körbchen frischer Backwaren. Besonders das Griebenschmalz wirkte mit ein wenig Pfeffer und Salz versehen auf dem fluffigen Baguette wahre Wunder. Aber auch der Kräuterquark konnte was. Griebenschmalz und Kräuterquark zum Auftakt Ich versuchte mich beim Stullenschmieren in Zurückhaltung zu üben, was jedoch spätestens beim danach servierten Amuse komplett misslang. Das in einer kleinen Terrine versteckte Grünkohlcrèmesüppchen war aber auch derart fein abgeschmeckt, dass die restlichen Brotscheiben für Stippdienste draufgingen. Grünkohlcrèmesüppchen als Amuse Auf das Süppchen folgte der erste Gang des Menüs, die vor Schuppentiereinlage strotzende Meeresterrine. Ihre klare Brühe duftete mir wie eine würzig frische Nordseebrise entgegen. In kleine Stücke geschnittene Wolfsbarsch , Schollen und Limandesfilets bekamen von ein paar Garnelen und ausgelösten Miesmuscheln Gesellschaft. Die Nordmann Bouillabaisse Sellerie, etwas Knoblauch, Zwiebel und Weißwein fungierten zwar dezent im Hintergrund, verliehen jedoch der gut ausbalancierten Bouillabaisse von Nordseefischen eine wunderbar aromatische Note. Mit ein paar Scheiben Knoblauchbaguette – ganz „oldschool“ mit selbstgemachter Knoblauchbutter bestrichen – war das ein Auftakt nach Maß. Oldschool Knobi Brot Die Fischsuppe löffelte sich wunderbar leicht aus der weißen Porzellantasse. Auch von der Portion her war sie perfekt bemessen. Sie erwies sich als gelungener Appetizer für die bald folgenden, saftigen Wolfsbarschfilets. Von ihnen lagen bald darauf drei schmalere Exemplare in gebratener Perfektion auf meinem Teller. Alle hatten sie eine herrlich krosse Haut, saftiges weißes und grätenfreies Fleisch sowie eine wohltuende Würze gemein. Nicht nur den Umgang mit Salz schien Küchenchef Björn Wolters zu beherrschen. Die drei Wolfsbarschfilets Unter dem Bratfischhorizont lauerte ein mit Sahne verfeinertes Gemüse Ragout, dessen Protagonisten noch reichlich Biss hatten. Es bestand im Wesentlichen aus Zuckerschoten, Lauchringen, Tomatenwürfeln und Erbsen. À part wurde mir noch ein Extraschälchen davon spendiert – getreu dem Motto „In der Börse ist noch kein Pfälzer verhungert!“. Die Gemüse Beilage Ebenfalls separat kam die Bandnudelbeilage auf den Tisch. Bandnudeln à part Von dem behutsam zubereiteten Hauptgang ließ ich nichts, aber auch rein gar nichts zurückgehen. Ganz im Gegenteil, wären fünf Fischfilets auf dem Teller gelegen, hätte ich auch diese geschafft, so köstlich fielen die knusprigen Filetstücke vom Wolfsbarsch aus. Endlich fühlte ich mich so richtig an der Küste angekommen. Nochmal die Filets vom Wolfsbarsch Nach meinem Hauptgericht trat es dann doch ein: das recht ungebeten daherkommende Sättigungsgefühl. Doch halt – der süße Abschluss stand ja noch bevor! Die überbackenen Beeren, die meine Mutter früher zu besonderen Anlässen mit einer Mascarponecreme, zu Pulver geriebenen Löffelbiskuits und etwas Kirschwasser kredenzte, hatten bei mir schon damals einen gewissen Lieblingsdessertstatus inne. Hier kamen sie mit einer schaumig leichten, für meinen Geschmack etwas zu süßen Holunderblüten Sabayone daher. In dieser tummelten sich jede Menge weiche Biskuitwürfel. Statt der gefrorenen Waldfrüchte von damals, schauten frische Blau und Himbeeren unter der süffigen Masse hervor. Ein sicheres Indiz, dass man es mit der Regionalität hier auch nicht übertrieb. Zusammen mit der Kugel Vanille Eis genossen, ergab das einen schönen Kalt Warm Kontrast. Die Fruchtsäure der reifen Beeren verlieh der warmen Süßspeise die nötige Frische. Kann denn Schaumcrème Sünde sein? Die gratinierten Beeren Nach diesem „Beerendienst“, den ich mir selbst erwiesen hatte, erklärte ich meine Nahrungsaufnahme endgültig für beendet. Völlerei gilt ja bekanntlich als die süßeste Todsünde der Welt. Insofern nahm ich mir vor, am nächsten Abend Buße zu tun, was jedoch nur teilweise gelang. Man empfahl mir die Wremer Fischerstube, ein gutbürgerliches Lokal direkt hinterm Deich und in unmittelbarer Nähe zum kleinen Wremer Fischereihafen. Von Frau Wolters verabschiedete ich mich mit einem herzlichen „Dankeschön!“ und auch ein wenig Wehmut, da ich gerne hier nochmal eingekehrt wäre. Beim nächsten Wremen Besuch ist die „Börse“ der Wolters Pflicht. Dann natürlich mit meinen beiden Mädels im Schlepptau."