"Gutsschenke Meersburg Es ist heiß. Auch jetzt um 19:00 Uhr brütet die Hitze in den Straßen und Mauern. Hier und da ein Geschenk des Sees. Kühl kommt die sanfte Brise. Ein Lufthauch. Meersburg brennt! Nein, die gesamte Region um den Bodensee steht in Brand. Wohin man schaut: Kirschbrand, Apfelbrand, Obstbrand! Welch ein Feuer! Bei der Entscheidung für Meersburg als Urlaubsort wusste ich gar nicht, wie brand gefährlich es hier ist. Nachts unternehme ich verzweifelte Versuche einen Flächenbrand zu verhindern, indem ich Wein und Wasserflasche unmittelbar neben meinem Bett postiere. Aber dennoch immer wieder zündelt es. Mal war das Fleisch zu zäh, dann die Beilage zu fett, der Sauerrahm zu mächtig trotz aller Vorkehrungen immer wieder bricht der Brand aus! Wir besuchen abends die Gutsschänke in der Oberstadt. Hier geht es rustikal zu. Die Wirtin führt ein strenges Regiment. Sich hingesetzt wird da, wo sie befiehlt. Nun ja, was soll sie machen? Die Leute wollen auf der Terrasse den außergewöhnlichen Blick auf den See genießen, der sich mit der Aussicht des Terrassenhotels Weißhaar messen kann. Da der homo modernensis alles haben, aber wenig dafür leisten will, kulminiert hier Masse: bei günstigen Preisen, schönster Aussicht auf wenig Raum und weitgehender Befriedigung von Grundbedürfnissen. Die Gutsschänke arbeitet in eigener Regie, ist aber verpflichtet, die Weine des angrenzenden Staatsweingutes auszuschenken. Stil und Form der Gutsschänke scheinen eher den Geist der alten Burg zu repräsentieren, die nicht weit entfernt hoch aufragt. Zwar wird nicht aus einem Topf gegessen, ansonsten jedoch scheinen hier dem Mittelalter zugewandte Vorstellungen durchaus lebendig zu sein. So erlebt sich das gemeine Volk der Besucher in Gemeinschaft nach den Bedingungen der Gutsherrin. Sechs Personen gehören an einen runden Tisch und „Freifrau von Nichtlangefackeln“ ordnet kurz an und lässt die Knappen und Knäppinnen ruckzuck handeln. Ehe wir es richtig begriffen haben, befinden wir uns in Gemeinschaft mit einer jungen Familie aus Australien mit zwei kleinen Kindern. Die Familie begrüßt uns freundlich. Die Verständigung gelingt in deutsch und englisch. Das jüngste Kind befindet sich in einem Alter, das vollkommen elementaren Erfahrungen in dieser Welt gewidmet ist, und so nutzt es die als Speise gedachten Nudeln auf seinem Teller auch zu vielfältigen kreativen Gestaltungen am eigenen Körper, am Stuhl und auf dem schlichten Holztisch ohne Set oder sonstigen Zierrat. Bei seinem Tun lächelt der Kleine so süß und niedlich, dass man mitlachen muss. Als die Familie geht, sieht man das ganze Ausmaß der Umgestaltung. Mit Hilfe von Mundsprüh und Handpatschpatschtechnik ist auf der Tischplatte ein vorzügliches Fett Nudelsprenkelgemälde entstanden, das die Fettwanne von Beuys fast in den Schatten stellt. Bei dem Anblick zückt Knappe „Wischnixwieweg“ einen angefeuchteten Lappen, wedelt damit auf der Tischplatte herum, ungeachtet der Frage, wo die von dem kleinen Erdenbürger so kreativ genutzten Nudelpartikel bleiben würden, und verteilt die Fettschicht so, dass sie nicht mehr den Eindruck eines Konzentrats hinterlässt. Seinem Gesichtsausdruck, gezeichnet von hoher Zufriedenheit, ist fraglos zu entnehmen, dass ich mich um alles, was bei dieser Aktion auf meiner Hose gelandet ist, selber kümmern müsse. Inzwischen ist es uns gelungen unsere Bestellung aufzugeben, die Plätze so zu wechseln, dass wir direkt auf den See schauen und in kurzfristig geschenkter Zweisamkeit am Tisch ein paar Worte miteinander zu wechseln, die nur mit uns zu tun haben. Wir ordern: 1 Flasche stilles Wasser (es gibt nur medium) 4,00 € ¼ Müller Thurgau, trocken 4,00 € ¼ Spätburgunder trocken 4,90 € 1 Salat m. Schafskäse 9,50 € 1 Flammkuchen m. Speck 8,60 € 1 Tagliata die Manzo 17,50 € Zuerst kommen die Getränke, dann ein reichlich bemessener Korb mit Brot. Nach einer Weile serviert Knappe „Wischnixwieweg“ Zerberuz den Salat und mir die Tagliata. Im ersten Moment können wir es noch gar nicht glauben, aber dann ist es eindeutig: Der Blattsalat mit Tomate, etwas Paprika und Schafkäsewürfeln ist auf einem heißen Teller angerichtet worden. Welch ein Feuer in Meersburg! Die Tagialta gönnt sich einen großen Auftritt. Auf dunkelgrünem Rucola Untergrund, flankiert von leuchtenden Kirschtomaten ruhen erhaben die rosaroten Rinderfiletscheiben. Zwischen allem verteilen sich Sprenkel des Parmesans. Das Fleisch hat noch einen Hauch von Wärme, nur warum auch der Rucola? Es hat den Anschein, dass man ihm als Ausgleich für recht sparsame Zuwendungen an Olivenöl und Rosmarin einen heißen Teller gegönnt hat. Als ich mich der zweiten Scheibe des Rinderfilets zuwende, bei der sich das Tier eindeutig als widerspenstig erweist, wird unsere Zweiergruppe zur Vierergruppe aufgestockt. Kaum haben sich die Neuankömmlinge aus Speyer orientiert und Platz genommen, da erfolgt auch schon das Kommando zur weiteren Umgruppierung durch „Freifrau von Nichtlangefackeln“. Geistesgegenwärtig rettet das Paar aus Speyer bei dieser Aktion seine Sitzplätze mit Sicht auf den See. Zwei smarte Herren aus Friedrichshafen, die mit Landschaft, See und „Freifrau von Nichtlangefackeln“ sehr vertraut sind, belegen die letzten Plätze am Tisch. Die Herrin der Gutsschänke ist zufrieden und nimmt die nächste Kommandosache in Angriff. Knappe „Wischnixwieweg“ kann direkt die Bestellungen aufnehmen, da ja in der Zwischenzeit sich hier kein weiterer Jünger von Beuys niedergelassen hat. Über dem See hängen massive Wolken, die Hitze brennt hier oben in den Gemäuern. Die Luft steht. Zerberuz hat den Salat beiseite geschoben, der Flammkuchen schmeckt. Die Speckwürfel entsprechen der Bodenseeeinheitsnorm von 2,23 bis 3mm. Auch die Relationen zwischen Speck , Zwiebel und Gemüsewürfeln stimmen offenbar, denn Zerberuz bemängelt nichts. Die letzten Fleischscheiben der Tagliata sind recht gefügig und bei mild gestimmtem Urteilsvermögen könnte man sie auch als zart bezeichnen. Knappe „Wischnixwieweg“ hastet mit vollen und leeren Tellern hin und her. Schweißperlen laufen über sein Gesicht. Er hat kaum Zeit bei den Gästen zu kassieren. Woran wird er wohl denken, wenn er schlafen geht? cc Der letzte Schluck Wein. Zerberuz ist mit dem Müller Thurgau zufrieden, ich toleriere den Spätburgunder. Wir zahlen. Noch ein Blick auf den verhangenen See. Tschüs! Das war‘s. Einen herzlichen Dank an alle, die Spaß an diesen Facetten einer Reise hatten. "